Seit der vorgeschichtlichen Zeit hat im Lahn-Sieg-Dill-Gebiet die Eisengewinnung eine große Rolle gespielt. Wir wissen, daß schon um 500 vor Christi Geburt das Erz von den Kelten in ihrer Ringwallburg bei Rittershausen, etwa 5 km von Steinbrücken entfernt, geschmolzen wurde.
Die erste industrielle Betätigung in der Gemarkung Steinbrücken vollzog sich an den Berghängen, wo sich zwei frühmittelalterliche Schlackenhalden nachweisen lassen. Hier standen so genannte Rennöfen, in denen das Eisen auf sehr einfache Weise gewonnen wurde. Man baute kleine, runde Gruben, festigte die Wände mit Lehm und beschickte diese Öfen mit einer Mischung von zerkleinerten Holzkohlen- und Eisenerzstücken. Die Mischung wurde angezündet und das Erz bis zur Zähflüssigkeit erhitzt. Das stark verschlackte Roheisen setzte sich am Boden des Rennofens ab. Durch Hämmern versuchte man noch möglichst viel Schlacke aus dieser „Rohluppe“ herauszuschlagen, und das so gewonnene Eisen wurde zu allerlei Werkzeugen ausgeschmiedet. Zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr nutzte man den natürlichen Aufwind des nach der Wetterseite hin gelegenen Berghanges aus. In der Nähe der Schlackenhalden sind noch heute die Meilerplätze zu erkennen, auf denen die Hüttenleute sich ihre Holzkohlen selbst brannten.

Die Steinbrücker Hütte

Die Entstehung und Weiterentwicklung der Steinbrücker Eisenindustrie, die später mit der Eibelshäuser Hütte und der Ewersbacher Neuhütte zum „Steinbrücker Bezirk“ verbunden war, entspricht als Typus der Talindustrie des Mittelgebirges dem allgemeinen Bild mittelalterlicher industrieller Tätigkeit des Menschen in Deutschland. Die Erfindung des aus Tierfellen, später aus Leder gefertigten Blasebalges ermöglichte es, den Ofen auf künstlichem Weg Luft zuzuführen. Um 1400 wurde das Wasserrad zur Erzeugung des Windes für den Ofen nutzbar gemacht und der Hammer mit seiner Hilfe bewegt. Die Anwendung des Wasserrades zwang zur Verlegung der Verhüttungsstandorte von den Hängen herab an den Oberlauf der Dietzhölze. Wasserkraft als Energiespender, Waldreichtum und die Nähe des Eisenerzes im ScheIderwald bei Dillenburg als Rohstoffgrundlage stellten in räumlichem Zusammenklang die natürliche Basis der Steinbrücker Eisenindustrie dar.
Der Streit um die Herrschaftsrechte im Gericht Straßebersbach zwischen den Adligen von Bicken und den Grafen von Nassau wurde unter anderem auch mit Hilfe von Zeugenaussagen der Untertanen geführt. Aus einem solchen Protokoll von 1466 geht hervor, daß die Eisenschmelze zu Steinbrücken unter Mitwirkung des Grafen Johann II. mit
der Haube von Nassau-Dillenburg durch einen Mann aus Bayern namens Jakob oder Jakob Bayer gegründet wurde. Der Graf verlieh ihm eine Hofstelle und den Wassergang der Dietzhölze zur Erbauung einer Eisenhütte. Bayer betrieb die Hütte bis zu seinem Tode, der schon vor 1443 erfolgt sein muß, da in diesem Jahr die Hütte bereits an „Kunz den alten Dobener“ verliehen war. Später ging sie auf dessen Nachkommen über und hieß deshalb die Dobenershütte.
Sie wurden zwischen 1416 und 1422 erbaut und war die erste Hütte in der Grafschaft Nassau-Dillenburg. Jakob Bayer baute seinen Schmelzofen, die Blasebälge, die Wasserräder und den Hammer in der heutigen Ortslage von Steinbrücken. Der Hammer schmiedete das gewonnene Roheisen zu Stäben und Schienen aus. Er stand im gleichen Gebäude wie der Schmelzofen und hieß der Stabhammer oder der Steinbrücker Hammer.
Auf dem Eisenwerk konnte nur gearbeitet werden, wenn die Wasserführung der Dietzhölze zum Betrieb der Wasserräder ausreichte. Anfangs dauerten diese „Hüttenreisen“ nur etwa 26 Wochen im Jahr. Wenn der Ofen im Gang war, konnte man täglich drei Abstriche ausführen.
Bis etwa 1550 gehörte die Steinbrücker Hütte immer nur einem einzelnen Besitzer. Seitdem trat, durch Erbteilungen bedingt, eine Eigentümergruppe auf, die Gewerkschaft. Die Besitzanteile wurden in Hütten- und Hammertagen berechnet und jedes Hüttengewerke arbeitete mit seinen eigenen Rohstoffen während der ihm gehörenden Tage auf eigene Rechnung. Im Jahr 1620, zwei Jahre nach dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges, wurde der Betrieb der Steinbrücker Hütte eingestellt und nur noch die Arbeit mit dem Stabhammer weitergeführt.

Der Stollenbergbau in Steinbrücken

Im Zusammenhang mit dem Vorkommen von Kupfer- und Silbererzen wurde auf Veranlassung Graf Johanns des Älteren im Jahr 1562 der Hammerweiher bei Steinbrücken angelegt. Hier wurden ein Pochwerk und eine Erzwäsche für die Grube „Zur Gesellschaft“ eingerichtet. Die Grube ist 1573 ins Dillenburgische Bergbuch eingetragen worden, sie war aber unrentabel. 1780 wurde der Grubenbetrieb unter dem Namen „Karlshoffnung“ erneuert, jedoch wiederum ohne nennenswerten Erfolg. Um aber die gestaute Energie des Wassers zu nutzen, richtete Graf Johann am Hammerweiher schon 1565 eine Mahlmühle ein. Sie wurde später wegen der Errichtung des Teichhammers nach Steinbrücken verlegt und bestand hier bis 1795.

Die Steinbrücker Hämmer

Um 1600 brachte eine technische Neuerung, der Hochofen, die gesamte Eisenindustrie einen gewaltigen Schritt vorwärts. Das nun zum ersten Mal in reiner Form auftretende Zwischenprodukt „Roheisen“ bewirkte in der Folgezeit eine räumliche Trennung der Eisenschmelzen in Hütten, die aus Eisenerz Roheisen herstellten und Hämmer, die das Roheisen zu Schmiedeeisen verarbeiteten. In den neuen Hochöfen konnte eine weit größere Menge Eisen gleichzeitig erschmolzen werden als in den alten Hütten und sie konnten auch das schlechte und billige Eisenerz verwerten. 1587 wurde auf der Straßebersbacher Neuhütte, die 1448 gegründet worden war, der erste Hochofen in Nassau-Dillenburg in Betrieb genommen und 1613 folgte der Hochofen , auf der Eibelshäuser Hütte. Die alte Steinbrücker Schmelze konnte, wenn sie wirtschaftlich arbeiten wollte, nur hochprozentigen, teuren Eisenstein verhütten und folglich nicht mit den Hochöfen konkurrieren. Deshalb wurde sie 1620 stillgelegt und nur noch der Stabhammer weitergeführt. Da er sein Roheisen nun von den Hütten in Eibelshausen und Straßebersbach beziehen mußte, war somit im Steinbrücker Bezirk die räumliche Trennung in Hütten und Hammerwerke vollzogen.
Die Mühle, die Graf Johann der Ältere am Hammerweiher angelegt hat, wurde 1652 von Fürst Ludwig Heinrich von Nassau in einen Hammer, den Teichhammer, umgewandelt.
Erster Hammerschmied auf dem Teichhammer war ein Wallone aus Belgien, Namens Paris Fornerc. Wegen des großen Kraftreservoirs des Hammerweihers herrschte auf dem Teichhammer zu allen Zeiten ein flotter Betrieb.

Die Firma Johann Jakob Jung zu Steinbrücken

Der Teichhammer war von Anfang an Eigentum der Fürsten von Nassau- Oranien gewesen. Im Jahr 1768 erwarb das Fürstenhaus auch alle Anteile am Steinbrücker Hammer, außerdem besaß es die Eibelshäuser- und die Straßebersbacher Hütte. Von 1768 bis 1786 leitete Hüttenverwalter Johann Jost Wickel von Steinbrücken diese vier Betriebe des „Steinbrücker Bezirks“ Im Auftrag des Landesherren. Zwischen 1786 und 1808 standen die Werke unter der Aufsicht des Hütteninspektors Johann Heinrich Jung, der aus einer weithin bekannten Siegerländer Familie hervorragender Hüttenfachleute stammte. Im 18. Jahrhundert blühte im Siegerland das „Reckeisenschmieden“, das Jung von 1788 an auch auf dem Teichhammer einführte. Bei diesem Verfahren wurden sehr schwere Hämmer verwendet, ihr Gewicht er- reichte bis zu 450 kg. Das Reckeisen war ein grobes Schmiedeeisen, das sich besonders gut für die Kleineisenindustrie eignete und vor allem bei der Herstellung der weltberühmten Solinger Stahlwahren Verwendung fand.
Im Jahre 1801 wurde auf Betreiben Jungs neben dem Steinbrücker Stabhammer ein Zainhammer errichtet. Die Zainhämmer arbeiteten mit leichten Hammergewichten von etwa 50 kg Schwere und waren Folgebetriebe der Stabhämmer. Der Stabhammer lieferte dem Zainhammer sogenannte Zainprügel, die dieser zu dichtem Zaineisen verschmiedete.
Zaineisen war Feineisen, das von Schlossern, Nagel- und Hufschmieden gebraucht wurde. Seit 1808 standen die nunmehr fünf Betriebe des Steinbrücker Bezirks unter dem Hüttenverwalter Johann Jakob Jung in landesherrlicher Verwaltung. Johann Jakob war ein jüngerer Bruder seines Vorgängers Johann Heinrich Jung. 1816 wurden die Werke des Steinbrücker Bezirks von der nassauischen Landesregierung an eine Personengruppe verpachtet, der auch Johann Jakob Jung angehörte. In einem neuen Pachtvertrag wurde dieser 1822 alleiniger Pächter der Eibelshäuser Hütte und der drei Steinbrücker Hämmer.
Man kann das Jahr 1816 als das Gründungsjahr der Firma Johann Jakob Jung ansehen, aus der unter Jungs Nachkommen der Hessen-Nassauische Hüttenverein hervorging. Jung, der eigene Eisenerzgruben im Schelderwald erwarb, war ein zuverlässiger, geschäftstüchtiger Fachmann, unter dem die gepachteten Werke einen großen Aufschwung erlebten. Er starb 1847 und ruht mit seiner Frau Amalie in einem Doppelgrab unter einer mächtigen Trauerweide auf dem Friedhof von Steinbrücken.

Das Bild der Steinbrücker Industrie um 1850

Unsere Eisenindustrie hat vor 100 Jahren ein fast romantisches Wirtschaftsbild gehabt. Erzstollen, Halden und Schächte, Pochwerke, Meilerplätze, Schmelzhütten, Hammerwerke, Schmieden, Stauteiche, Mühlen, Hammer- und Hüttengräben sind die Kennzeichen des alten Steinbrücker Industrieraumes bis zum Ausgang des“ 19.Jahrhunderts.
Hier und da wurde immer noch offen oder heimlich nach Silbererz gegraben und rings an den Berghängen rauchten die Kohlenmeiler. Die Hammeranlagen, von breiten, quadratischen Schornsteinen überragt, lagen am Rand der Ortschaft. Die Schlackenhalden türmten sich haushoch in der „Sinterwiese“ auf. Das Dröhnen der niederfallenden Hämmer hallte durch das Dorf. Man erzählt noch, daß der leichte Zainhammer mit kurzem, hellem „digedigeding“, der schwere Stabhammer mit dumpfen, getragenem „digedong, digedong“ erklungen sei. Die Flammengarben loderten empor und erhellten Dämmerung und Nacht.
Das Wasser strömte durch den Hammergraben und schoß am Wehr in die Räderwerke, die sich ächzend drehten. Zum Schutz des Dorfes vor Feuersgefahr waren rings um das Hammergelände schnellwüchsige Pappeln und Eschen angepflanzt worden, in deren dichtem Laubdach die Funken spielten. Hier nistete die Dohle in großer Zahl und trug dazu bei, den Spottnamen,“Steinbrücker Raben“, zu festigen. Der Fuhrmann ist vor Tau und Tag in den ScheIderwald aufgebrochen um das Eisenerz zu holen und abends knarren die schwerbeladenen Ochsenwagen heran. Das Erzfahren verschafft den Einwohnern einen willkommenen Nebenerwerb. Zur Zeit des Kohlenbrennens bringen täglich die Köhler aus weitem Umkreis die Holzkohlen in ochsenbespannten „Kohlreusen“ herbei und ein langer Wagenzug steht Morgen für Morgen vor den Hämmern Schlange. Ist die Kohle ausgeschüttet, dann stellt sich der Köhler auf der Heimfahrt in die erlebte 1870 seine letzte Hammerreise.
Erst 1865 hatte die Firma Johann Jokob Jung die Eibelshäuser Hütte und die Steinbrücker Hämmer von der herzoglich-nassauischen Landesregierung gekauft. 1869 erwarb sie die Ludwigshütte bei Biedenkopf und 1876 die Straßebersbacher Neuhütte. Die Familie Jung schloß sich 1883 im Hessen-Nassauischen Hüttenverein, Sitz Steinbrücken, zusammen.
1898 erfolgte der Ankauf der Wilhelmshütte im oberen Lahntal. Wegen des stets steigenden Bedarfs an Gießereiroheisen wurde 1905 der Kokshochofen in Oberscheld gebaut. Zur Verwertung seiner Nebenerzeugnisse entstand 1913 die Elektrizitäts-Überlandzentrale Oberscheld und im gleichen Jahr begann der Bau der Breidenbacher Hütte.
In dieser Blütezeit des Hessen-Nassauischen Hüttenvereins, der zeitweise mehr als die Hälfte aller deutschen Öfen und Herde produzierte, trafen sich monatlich einmal die Hüttenherren der Familie Jung in Steinbrücken um die kaufmännische und technische Führung der Werke aufeinander abzustimmen. Ein Familienmitglied, der als Arzt weit über die Grenzen des Dillkreises hinaus bekannte Geheime Sanitätsrat Dr. Karl Neuschaefer, erbaute 1896 in Steinbrücken ein Krankenhaus, das im ersten Weltkrieg als Lazarett eingerichtet war. In den Jahren danach aber wieder aufgegeben wurde. Die Weltwirtschaftskrise um 1930 wurde dem Jung’schen Familienunternehmen zum Verhängnis. Nach Vorgängen und Verhandlungen, die Steinbrücken nur noch am Rande berühren, ging der Hessen-Nassauische Hüttenverein 1935 an die Buderus’schen Eisenwerke Wetzlar über. Seitdem ist Wetzlar der wirtschaftsgeorgraphische Mittelpunkt unseres Gebietes. In Steinbrücken gibt es keine Eisenindustrie mehr, geblieben ist nur die Erinnerung an eine glanzvolle Vergangenheit.